WDR 5 interviewt Bildungsforscher zur Digitalisierung von Unterricht

Download PDF

“Da darf Schule sich natürlich nicht zurückhalten.”

Wer noch nicht genug gehört hat, wie toll angeblich digitale Medien im Schulunterricht sind, dem empfehlen wir das kürzlich gesendete Interview des Radiosenders WDR 5 mit Dirk Richter, Professor für “Erziehungswissenschaftliche Bildungsforschung” an der Universität Potsdam (WDR 5, Sendung “Neugier genügt – Redezeit”, “Digitalisierung an deutschen Schulen – Dirk Richter”, 30.01.2025).

Richter ist nicht nur Professor, sondern laut Homepage der Uni Potsdam auch Mitglied des wissenschaftlichen Beirats “Schule” des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport (Land Brandenburg), Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Instituts für Schulqualität der Länder Berlin und Brandenburg, Mitglied der Jury des Deutschen Schulpreises, Ko-Leiter der Vernetzungs- und Transferstelle für das Lernen und Lehren in der digitalen Welt und Mitherausgeber der Zeitschrift für Erziehungswissenschaft. Als Lehrer an einer Schule hat er offenbar nie gearbeitet, stattdessen war er zum Beispiel Doktorand am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung (siehe seinen Werdegang).

In dem WDR-5-Interview sind trotz des recht neuen Jahres die üblichen Phrasen zu hören. Risiken und Nebenwirkungen digitaler Medien bleiben unerwähnt; ihr (angeblicher) Nutzen für den Unterricht wird nicht oder (von der Interviewerin) nur ansatzweise in Frage gestellt. Wir geben hier beispielhaft ein paar Antworten des Professors aus Potsdam wieder:

Digitalisierung ist etwas, was eben unsere ganze Gesellschaft betrifft, was wir im Alltag erleben. Und da darf Schule sich natürlich nicht zurückhalten. Schule muss diese Veränderung in der Gesellschaft mit aufnehmen, und es muss die Schülerinnen und Schüler vorbereiten, in einer digitalisierten Welt zu leben, zu arbeiten. Und deshalb ist es besonders wichtig, dass digitale Medien auch in den Unterricht Eingang finden. Und darüber hinaus bieten digitale Medien auch bestimmte Vorteile, die ein klassischer analoger Unterricht eben nicht bietet. Wir können viel besser individualisiert lernen, wir können besser individuelle Rückmeldungen geben, sodass auch das Lernen der Schüler dadurch besser gefördert werden kann, als wenn wir sie nicht nutzen. […]

Zum einen ist die Nutzung digitaler Medien wichtig, weil Schüler in ihrem Alltag ohnehin mit digitalen Medien konfrontiert sind. Sie nutzen Social Media, sie nutzen das Internet. Und deshalb müssen sie in Schule genau so lernen, mit dem Internet oder anderen Medien umzugehen, um auch entsprechend fit zu sein, dies in ihrem Alltag zu nutzen. Also die Vermittlung von Medienkompetenz ist sozusagen ein Ziel, aber auch das Lernen mit digitalen Medien mit dem Ziel, eben individualisierten und qualitativ hochwertigen Unterricht zu machen.

Eine Aussage des Professors finden wir vergleichsweise interessant (Zeitpunkt 20’30”):

Wir wissen, dass beispielsweise die computerbezogenen Fähigkeiten von Schülern über die letzten zehn Jahre insgesamt in Deutschland schlechter geworden sind und vor allen Dingen bei denjenigen, die sozial benachteiligt sind.

(Erst) gegen Ende des Interviews spricht die Interviewerin die Entwicklung in den skandinavischen Ländern, insbesondere in Schweden, an, wo die Digitalisierung der Schulen zurückgedreht wird (siehe hier): “Da gibt es ja so eine Art Rollback, dass sie sagen: ‘Na, vielleicht war das mit der Digitalisierung too much.’ […] Kann man in Deutschland, wo wir ja hinterherhinken, von diesem Rollback etwas lernen […]?” (Zeitpunkt 21’12”)

Richter:

Letztlich ist der Vergleich schwierig. Denn Skandinavien ist auf einem Level, wo wir nicht sind. Insofern müssen wir letztlich erst mal aufholen und darauf achten, dass wir die Lehrkräfte mitnehmen.

Wir beschränken uns auf folgenden Kommentar: Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel…


PS
In den Programmrichtlinien des WDR ist übrigens zu lesen:

Eine kritische Wissenschaftsberichterstattung hat beim WDR Tradition. Dazu gehört Hinterfragen, Einordnen und Orientieren.

Wir sagen mal so: Da ist noch etwas Luft nach oben.

Liebe WDR-Redaktion von “Neugier genügt”,

sind Sie bereit, ein paar unserer Artikel zur Digitalisierung zu lesen, bevor Sie das nächste Mal einen Bildungsforscher zu digitalen Medien in der Schule interviewen? (Zum Beispiel: “Medienkompetenzrahmen NRW: Was für ein kleinkarierter, seelenloser Quatsch!”, “Pädagogik wird entpersonalisiert”.)

Sind Sie bereit, das Gutachen “Die ‘Digitale Welt’ im Diskurs” von Professor Karl-Heinz Dammer zu lesen, bevor Sie das nächste Mal einen Bildungsforscher zu digitalen Medien in der Schule interviewen?

Sind Sie bereit, einmal Ralf Lankau zu Sinn und Unsinn digitaler Medien in der Schule zu interviewen?

Oder vielleicht möchten Sie mal auf Ihrem Sender an Neil Postman erinnern (Youtube-Kanal Classroom Media, “Neil Postman: The End of Education”):

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert